ANALOG DIGITAL Media (Ex)Changes AUSSTELLUNG Diese Ausstellung wurde von 03.10.2017 – 28.1.2018 im METRO Kinokulturhaus gezeigt.

CHANGING MEDIA

Was ist die Zukunft des bewegten Bildes?
Was die Zukunft des Kinos?

Der Übergang von analogen zu digitalen Bildmedien stößt nicht nur tiefgreifende Veränderungen in der gesamten Filmindustrie an. Er stellt auch die Filmarchive weltweit vor enorme Herausforderungen. In der Ausstellung Analog_Digital. Media (Ex)Changes thematisiert das Filmarchiv Austria diese bildmediale Zeitenwende im METRO Kinokulturhaus. Gezeigt wird eine Auswahl zeitgenössischer Arbeiten von österreichischen und internationalen KünstlerInnen, die in direkter Gegenüberstellung analoge und digitale Technologien als das reflektieren, was sie sind: zwei genuin verschiedene Weisen der Aufnahme, Verarbeitung und Wiedergabe bewegter Bilder.

Ein Spielfilm auf analogem 35mm-Format hat eine Länge von ca. 2 500 Meter und wird in mehreren Filmdosen mit einem Gesamtgewicht von rund 35 kg aufbewahrt. Im Kino werden diese einzelnen Akte auf zwei Projektoren in wechselnder Folge vorgeführt.

Seit 1893 wird der 35mm breite analoge Zelluloidfilm als weltweites Standardformat für die Aufnahme und Wiedergabe bewegter Bildern verwendet. Über 100 Jahre hat diese Technologie die professionelle Filmproduktion und die Kinoprojektion bestimmt.

Ab 2010 wurde auch auf massiven Druck der Filmindustrie der universelle 35mm-Analogfilmstandard durch digitale Formate ersetzt. Innerhalb von wenigen Jahren erfolgte praktisch flächendeckend die Umstellung der Produktion und Distribution auf digitale Technologien.

Ein digitaler Spielfilm wird in Form einer veschlüsselten Festplatte als DCP (Digital Cinema Package) ausgeliefert. Diese wiegt rund 1 kg.

In den Projektionskabinen ist damit anstelle des mechanischen Ratterns der analogen Projektionsmaschinen das Surren des digitalen Bildwerfers zu hören. Der Übergang von analoger fotografischer Technik und mechanischer Projektion zur digitalen Aufzeichnung und Wiedergabe kommt einer bildmedialen Zeitenwende gleich. Er durchdringt die alltägliche Medienumwelt ebenso, wie die Arbeit von FilmemacherInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen und stößt tiefgreifende Veränderungen in der Filmindustrie und ihren Zweigbranchen an.

Projektionsraum METRO Kinokulturhaus (Wien), Filmarchiv Austria

Auch die Filmarchive stellt der Übergang von analoger Produktion und Projektion und das gleichzeitige Anwachsen digitaler Archivgüter vor große Veränderungen. Als Institution, die mit der Pflege und dem Erhalt des filmischen Erbes befasst ist, sieht das Filmarchiv Austria diesen medienhistorischen Wandel als die große Herausforderung der nächsten beiden Jahrzehnte.

Die Digitalisierung schützt das analoge Filmerbe nicht vor dem Vergessen. Denn digitaler Film kann ebenso verschwinden – vielmehr noch, er verlöscht: ohne die entsprechende technische Umgebung sind digitale Bilddaten nach nur wenigen Jahren nicht mehr entschlüsselbar. Was die Haltbarkeit von Festplatten und anderen digitalen Speichermedien betrifft, fehlen zuverlässige Daten. Digital hergestelltes und verarbeitetes Bildmaterial stellt einen wachsenden Anteil an den Archivbeständen dar.

Filmarchive sind daher gefordert, ihre Funktion als Bewegtbildspeicher sowohl in Richtung Vergangenheit als auch in Richtung Zukunft zu erfüllen. Das Sammlung, Restaurieren und langfristige Archivieren des seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen analogen Filmerbes ist ebenso wichtig, wie die Erhaltung der aktuellen digitalen Filmproduktionen. Nachdem es noch keine zuverlässigen Methoden zur langfristigen Speicherung digitaler Filme gibt, werden diese vorzugsweise durch Rückbelichtung auf 35mm-Filme ebenfalls in analoger Form langzeitarchiviert.

Sicherheitsdepot Laxenburg

Sammeln, Bewahren,

Erschließen und Vermitteln.

So lautet kurz gefasst die Aufgabe eines Filmarchivs. In Laxenburg hat das Filmarchiv Austria ein Kompetenzzentrum für die Aufbewahrung des österreichischen Filmerbes aufgebaut, das in den letzten Jahren mit mehreren Neubauten stark erweitert werden konnte. Im Zentrum stand bisher der analoge Film, der über 100 Jahre als Träger für Filme aller Art Verwendung fand. Analoge Filme haben sich dabei als ausgesprochen stabil und haltbar erwiesen. Die ältesten im Filmarchiv Austria aufbewahrten Bewegtbilder stammen aus 1896. Voraussetzung für die Sicherung des analogen Filmerbes ist die Erhaltung der spezifischen technischen Infrastruktur für die professionelle Lagerung und Restaurierung der Zelluloidfilme. Die Digitalisierung stellt eine Technologie zur leichteren Verfügbarmachung und multimedialen Nutzung dar, als Methode zur langfristigen Bewahrung von bewegten Bildern nur bedingt geeignet.

"Zu den wesentlichen Erfolgen der neuen technischen Medien, Video und Computer, wie der alten technischen Medien, Fotografie und Film, zählen nicht nur, dass sie neue Kunstbewegungen initiierten und neue Ausdrucksmedien schufen, sondern auch, dass sie eine entscheidende Wirkung auf die historischen Medien wie Malerei und Skulptur ausübten. Insofern bilden die neuen Medien nicht nur einen neuen Ast am Baum der Kunst, sondern sie haben insgesamt den Baum der Kunst verändert."

Peter Weibel: Die Postmediale Kondition. In :Elisabeth Fiedler, Christa Steinle, Peter Weibel (Hg.): Postmediale Kondition, Graz 2005, S. 6-13
Tony Lawrence, Girl on Fire, 2010

Die Ausstellung ANALOG_DIGITAL. Media (Ex)changes vereint im METRO Kinokulturhauses künstlerische Postitionen, die die jeweiligen Möglichkeiten des analogen und digitalen Laufbildes erforschen. Die Bandbreite erstreckt sich von Expanded Cinema-Arbeiten, über analog und digital erstellte Experimentalfilme bis hin zu Virtual Reality Installationen.

In der Ausstellung werden künstlerische Arbeiten vorgestellt, die sich in besonderer Weise mit der technisch-apparativen Basis ihres jeweiligen Mediums befassen. Diese Punkte bilden auch thematische Schnittmenge zum archivarischen Umgang mit Laufbildern. In direkter Gegenüberstellung werden analoge und digitale Technologien als das präsentiert, was sie sind: zwei genuin verschiedene Weisen der Aufnahme, Verarbeitung und Wiedergabe bewegter Bilder, jede mit ihrem spezifischen Satz an ästhetischen, materiellen und konzeptionellen Möglichkeiten.

1. Schwerpunkt
BILDMASCHINEN: ANALOG_DIGITAL

Während das analoge Filmbild als sichtbare Spur auf einem Filmstreifen entsteht, existiert digitaler Film als Satz diskreter Zeichen im binären Code. In diesem Sinne ist eine künstlerische oder archivarische Auseinandersetzung mit analogem Film eine gänzlich gegenständliche.

Tausende Meter von Film werden geschnitten und geklebt, gewickelt, über Rollen und Transporträder gespult, können reißen, zerkratzen oder verblassen. Ihre Sichtung erfordert voluminöse Sichtungs- und Umrolltische und Projektionsapparate. Das digitale Bild konstituiert sich dagegen im Moment der Wiedergabe immer wieder neu. Die Arbeit an ihm vollzieht sich im virtuellen Zeichenraum der Bits and Bytes. Anders als das analoge Bild, sind digitale Daten nicht unlösbar an einen Bildträger gebunden. Das digitale Bild eröffnet die Möglichkeit der Interaktion: des Eingriffes und der – oft dem programmierten Zufall überlassenen – Veränderung in Echtzeit. Folgende Kunstwerke stehen sich hier gegenüber und wirken zusammen:

RAINER KOHLBERGER – field, 2016

In der Interaktion mit den BenutzerInnen, BetrachterInnen, die zur filmenden und damit gestaltenden Person werden, ergeben sich immer neue Varianten und Bildwelten. Als Quelle des Signals dient ein iPad, das im Foyer des METRO Kinokulturhauses aufgestellt ist und von den BesucherInnen bedient werden kann. Der visuelle Output soll simultan auf einem Monitor im Ausstellungsraum zu sehen sein und eröffnet einen abstrahierten Blick auf die Geschehnisse im Stockwerk darunter.

field des in Berlin lebenden Künstlers Rainer Kohlberger spricht eine Ureigenschaft des errechneten, digitalen Bildes an. Mithilfe einer Applikation, die der Künstler für iPhone und iPad entwickelte, wird das Kamerasignal des Geräts auf Basis eines Algorithmus in Echtzeit in abstrakte Geräusche, Farbwerte und geometrische Muster umgerechnet.

GIBSON + RECODER – Light Spill, 2005

Das New Yorker Künstlerduo Sandra Gibson und Luis Recoder stellt mit der Arbeit Light Spill eine Auseinandersetzung mit Film jenseits einer kodifizierten Filmsprache vor. Seine materielle Qualität analogen Films steht im Mittelpunkt dieser Reflektion auf die elementarsten Bestandteile analogen Films: Licht, Mechanik und den belichteten Filmstreifen.

Als seiner Funktion beraubtes, “orphaned object” spult ein 16mm-Projektor unablässig Filmmaterial ab -- als unlesbare Spur. Da der Stoppmechanismus des Projektors aufgehoben ist, fließen die Bilder ineinander und zeigen sich als Lichtspur - light spill - auf der Leinwand. Der abgespulte Film wird nicht aufgewickelt, er sammelt sich über die Dauer der Ausstellung zu einem wachsenden Haufen vor dem Projektor an.

"Light spills in the shifting of film from ist native darkness in enclosed chambers (camera obscura) tot he uncanny openess and defamiliarized illumination of installation. We are exploring the shift, elaborating the displacement, recasting the light mechanics of a peculiar estrangement oft he medium"

Sandra Gibson und Luis Recoder: ursprünglich publiziert für die Ausstellung Light Spill: Gibson & Recoder, Robischon Gallery, Denver, Colorado, 27. Oktober - 29. Dezember, 2007

WIM JANSSEN – Continuization Loop, 2010

Wird der Loop in Bewegung gesetzt, erzeugen die schwarzen und weißen Felder ein Rauschen, das an Videostatik denken lässt. Filmtransport und Filmstreifen konvergieren in dieser Installation zu einem Bild, das auf drei Generationen von Medien anspielt: die apparative Basis des Films, das perfekte Chaos des leeren Videosignals und die binäre Logik des Digitalen.

Auch in der Arbeit des belgischen Medienkünstlers Wim Janssen stehen die apparativen Vorrichtungen des Kinos im Vordergrund, wobei das Moment der Projektion hier ausgeklammert ist. Über eine Konstruktion von 150 Rollen läuft ein Film-Loop, auf dem sich schwarze und weiße Kader ablösen und so eine Celluloid-Wand erzeugen.

RAINER KOHLBERGER – Not even nothing can be free of ghosts, 2016

Wie Continuization Loop auf die Projektion verzichtet, kommt auch die filmische Arbeit Rainer Kohlbergers ohne Kamera aus. In der abstrakten, pulsierenden Komposition aus weißen Lichtwellen mit sanft auslaufenden Rändern auf schwarzem Grund scheint anfangs dennoch das Flackern einer analogen Projektion, des Lichts auf Leinwand sichtbar zu werden.

Die Muster verdichten sich jedoch zunehmend zu einem stroboskopischen Flackern und fordern den Wahrnehmungsapparat der BetrachterInnen heraus. Im Wechsel von Hell und Dunkel und im Zusammenspiel mit einer flächig räumlichen Soundkulisse werden in den abstrakten Mustern subjektive Nachbilder und Gestalten erkennbar, die die Grenzen zwischen dem gegebenen Bild und der individuellen Wahrnehmung verschwimmen lassen.

"Although purely digital, is quite materialistic in a sense that our brains are altered by stroboscopic effects, therefore every spectator is completing the film individually in between the senses and her brain."

Rainer Kohlberger: Interview mit dem Künstler, ursprünglich erschienen auf: itsnicethat.com

2. SCHWERPUNKT
CELLULOID: Lichtbilder

Das Aufkommen der neuen Medien macht den Einsatz der alten zur Anomalie. Mit der Veränderung der Medien(um)welt verändert sich auch der Blick auf die Apparaturen, Ästhetiken und Funktionsprinzipien analoger Technik. Analoger Film heißt 24 Standbilder pro Sekunde, Licht, das sich physisch in eine mit Silberionen angereicherte Gel-Schicht einschreibt. Die Körnigkeit, aber auch die Materialität des Bildes, das die Spuren vergangener Projektionen trägt, erlauben eine künstlerische Sprache, die in kein anderes Medium übertragbar ist.

Dieser Teil der Ausstellung erhebt den Projektionsapparat zum skulpturalen Teil der Installation. Der Genese des analogen Filmbildes im und durch den Projektor kommt ebenso große Bedeutung zu wie der unmittelbaren Erfahrung analoger Projektion als Licht auf Leinwand.

CELLULOID

Zelluloid bezeichnet ursprünglich einen Kunststoff, der aus Zellulose-Nitrat und Kampfer hergestellt wurde. Ende des 19. Jahrhunderts begann man, das Material als Basis für fotografischen Rollfilm zu verwenden. Das Material fungierte als Träger der mit Silberhalogeniden angereicherten, lichtempfindlichen Emulsion . Auch das frühe Kino wurde auf dem hoch entflammbaren Nitrozellulosefilm aufgezeichnet. 1951 stellte die Filmindustrie auf Acetatfilmmaterial, den so genannten Safety-Film um. Das Funktionsprinzip ist bei beiden Materialien gleich: das Licht fällt auf die Schicht und erzeugt ein latentes Bild, das sich durch die Belichtung schwarz verfärbt. Die spezifische Körnung des analogfotografischen Bildes entsteht durch die Verteilung der bildgebenden Silberpartikel auf der Emulsion.


Gibson + Recoder. Available Light Series, 1999-2016

Mit der Arbeit Available Light wenden sich Sandra Gibson und Luis Recoder einmal mehr einem Grundprinzip des analogen Bewegtbildes zu: Licht auf Film auf Leinwand. Der Hauptakteur dieser Arbeit ist das Licht, das sich physisch in die Oberfläche des Films einschreibt. Für die kameralos realisierte Installation setzte das Künstlerduo ein noch aufgerolltes, unbelichtetes Farbfilm-Negativ direkter Sonneneinstrahlung aus.

Im Prozess der Projektion wird die chemische Veränderung des Filmstreifens wiederum als Licht freigegeben: als sanfter, pulsierender Verlauf farbiger Lichtspuren, gelb-rot im Positiv und blau-violett im Negativ. Positiv und Negativ werden Rücken an Rücken von zwei Projektoren im Loop projiziert.

Antoinette Zwirchmayr, Wasserbad, 2014

Das Prinzip des Films, die Simulation von Bewegung mittels der raschen Abfolge serieller Fotos wird durch die Wiederholung des immer gleichen Kaders ausgehebelt: simuliert wird nun der Stillstand. Die Projektoren laufen indes unermüdlich weiter, ebenso die Wassermassen auf den beiden anderen Projektoren. Das Wasser als Archetypus der Veränderung in der Zeit und die Bewegung als Grundcharakteristikum des Filmischen treten in Korrelation.

Die österreichische Künstlerin Antoinette Zwirchmayr arbeitet mit ihrem Film-Triptychon (Sophie Haslinger) an der Schnittstelle von Analogfilm und Analogfotografie. Drei 16mm-Projektoren zeigen simultan Aufnahmen eines Wasserfalls in Endlosschleife. Von Zeit zu Zeit kommt das Bild zum Stillstand, die Wassermassen frieren ein, die Darstellung wechselt von Film zu Fotografie.

Virgil Widrich, Side by Side, 2017

Die Installation Side by Side des österreichischen Medienkünstlers Virgil Widrich verweist einerseits auf die fundamentalen gestalterischen und perzeptiven Unterschiede digitaler und analoger Filme: Körnigkeit und physische Präsenz des Materials stehen buchstäblich Seite an Seite mit sauberer, errechneter Statik des digitalen Filmbildes.

Ein massiver Apparat Kinoapparat steht einem Digitalprojektor für den Hausgebrauch gegenüber. Zugleich werfen die vom Künstler montierten Found Footage-Fragmente die Frage nach der Bedeutung medialer Veränderungen für die Filmsprache auf. Bezeichnet der Begriff “Film” ursprünglich die flexible Trägerschicht, den Filmstreifen, markiert er nun einen Satz an gestalterischen Möglichkeiten, eine künstlerische Form, bei der die Trägerschicht weitgehend zum Datenträger geworden ist.

2. SCHWERPUNKT
ANALOG_DIGITAL: Poetik des Verfalls

Analoges Filmmaterial altert wie jeder organische Stoff. Es schrumpft, trocknet aus, verblasst, verklebt und unterliegt chemischen Verfallsprozessen. Archivarische Arbeit ist auch ein kontinuierlicher Kampf gegen die, dem Material inhärenten Zersetzungsprozesse. Doch auch die Bits digitaler Medien sind mehr als abstrakte Kalkulationen. Auch sie sind auf physische Speichermedien angewiesen und werden von Lesemedien dekodiert. Fehlt die entsprechende Soft- und Hardware-Infrastruktur verfallen digitale Daten und werden unlesbar.

Kaputte Bilddaten werden verzerrt oder in verpixelten Fragmenten überliefert. Eine chemische oder technische Störung, die die analog oder digital gesicherten Daten im schlimmsten Falle unentzifferbar werden lässt, kann aber auch der Ursprung einer Zufallsästhetik und damit zum Teil des bildnerischen Ausdrucks werden. Die Manipulation und Verfremdung von Bildmaterial ist bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts essentieller Bestandteil filmischer Avant-Garde-Praktiken, die mit dem Aufkommen digitaler Kunst ihre Entsprechung in der künstlerischen Bearbeitung digitalen Materials findet.

Tony Lawrence, Girl on Fire, 2010

Die Found Footage-Arbeit Girl on fire des australischen Künstlers und Filmemachers Tony Lawrence zeigt ein Mädchen, das eine Art Unterwasser-Tanz aufführt. Durch feuchte Lagerung hat der Film auf der Materialebene Redox-Schäden entwickelt, die sich als rostrote Korrosionsflecken auf dem Filmmaterial zeigen und ausschließlich bei schwarz-weißem Filmmaterial auftreten.

Durch Zufall bleiben die Schäden hauptsächlich auf die Figur des Mädchen begrenzt und so scheint es, als stünde sie in Flammen. Mit der Veränderung der Emulsion legt sich eine weitere Sinnebene über das Motiv des Films und verkehrt dessen Bildaussage – das Mädchen im Wasser – einer bizarren Poetik des Zufalls folgend in das symbolische Gegenteil – das Mädchen in Flammen.

Lydia Nsiah, distortion, 2016

Der Schutzmechanismus wird zum eigenständigen Player auf der Bildebene und zum Werkzeug künstlerischer Aneignung. Ein “Pixelgestöber” (Joachim Schätz) legt sich, in Form von Verzerrung und kontrollierter Zersetzung als eigenständige Sinnebene über das Ausgangsmaterial von Fernand Léger, Len Lye und Marcel Duchamp (u.a.). Dabei scheint dessen ursprüngliche, analoge Qualität dennoch stellenweise durch. Billy Roisz’ Soundtrack greift die beiden Ebenen von Ausgangsmaterial und verzerrter Kopie auf der Tonebene auf und kündet vom Auftauchen des Glitch.

In ihrem Found Footage-Film distortion montiert die österreichische Künstlerin Lydia Nsiah Ausschnitte aus DVD-Kopien kanonischer Avantgarde- und ephemerer Filme, die durch den medieneigenen Kopierschutz verzerrt wurden. Eben jenes Instrument, das die Filminhalte vor einer unerlaubten Weitergabe schützen soll, ist der Ausgangspunkt für Nsiahs Kommentar zur Kommerzialisierung von Verfremdungstechniken.

4. Schwerpunkt
INTERAKTION UND IMMERSION: Digitale Welten

In gewisser Weise verunmöglicht die Reflexion auf die technische Basis, die Hardware, genau jenen Prozess, der lange Zeit als eines der Hauptcharakteristika und großen Versprechen des bewegten (Film-)Bildes galt – die Immersion, die traditionell dem Kinoapparatus zugeschrieben wird. Sowohl digital als auch analog realisierte Filme konstituieren einen filmischen Erzählraum, der sich traumartig und virtuell vor den Augen der BetrachterInnen entfaltet.

„Ich bin umzingelt von den Gestalten des Films und dadurch verwickelt in seine Handlung. Ich gehe mit, ich fahre mit, ich stürze mit – obwohl ich körperlich auf demselben Platz sitzen bleibe.”

Bela Balasz, 1938

Das Aufkommen berechneter Bilder eröffnet einen wachsenden Raum an Möglichkeiten, die BetrachterInnen in ein virtuelles Bild einzuhüllen, das aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, durchmessen und durchwandert werden kann. Sie durchbrechen die Grenzen zwischen den Medien und reichen weit über das Konzept von Kino hinaus, wie wir es seit 100 Jahren kennen.

Virgil Widrich, Memory Palace, 2017

„Memory Palace“ ist die Bezeichnung einer Erinnerungstechnik, die neu zu lernende Inhalte mit einem schon bekannten Ort räumlich verknüpft, um ihre Abfolge einprägsam abzuspeichern. Sie ist besonders wirkungsvoll, wenn dabei auf jenen Ort zurückgegriffen wird, den die meisten Menschen am besten kennen: das Haus ihrer Kindheit. Doch das Haus, das wir dabei in Gedanken errichten, ist ein unmögliches Haus aus Spiegeln, Projektionen, Licht und vermengt mit Familiengeschichten im Kampf zwischen Erinnerung und Verdrängung.“ Virgil Widrich

Die Installation „Memory Palace“ reflektiert das Haus aus dem Film „Die Nacht der 1000 Stunden“, welches digital gebaut und mit Hilfe von Rückprojektionen, Kulissen, Requisiten, Kostümen und Licht rund um die DarstellerInnen für die Dreharbeiten zum Leben erweckt wurde.

Depart, The Lacuna Shift, 2017

Durch die Verwendung von Realtime 3D Environments ist es für die KünstlerInnen möglich eine immersive First-Person-Experience für das Publikum zu schaffen. Das Aufsetzen einer Vive VR-Brille entfaltet vor den Augen der BetrachterInnen einen hypothetischen, virtuellen Raum. Die interaktive Virtual-Reality-Installation The Lacuna Shifts des österreichischen Künstlerduos bringt das Immersive des Bewegtbild-Raumes auf eine neue Ebene.

Die Steuerung der Erfahrung liegt hier im wahrsten Sinne des Wortes im Auge der Betrachtenden, denn der Blick spielt eine tragende Rolle in diesem Abenteuer im Wunderland der sprechenden Dinge und beweglichen Wände. Die in Zusammenarbeit mit sound:frame und OK Offenes Kulturhaus Linz angeregte und 2017 realisierte Installation richtet den Blick, auf eine mögliche Zukunft der Bildprojektion und –rezension.

Kuratorinnen

Eva Fischer (soundframe) & Anna Högner (Filmarchiv Austria)

IN KOOPERATION MIT
MIT UNTERSTÜTZUNG VON